Im Rahmen der interdisziplinären Seminarreihe Künstler_innen in der Stadt der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig zeigen Studierende neu entwickelte Arbeiten.
In der Beschäftigung mit dem Mundraum – für sich genommen schon ein halböffentlicher Raum an der Grenze von Körperinnen- und Außenwelt – erkunden die Studierenden Möglichkeiten digitaler Plattformen und Öffentlichkeiten und bespielen ein Webtemplate, dass aktuell zu den beliebtesten Designvorlagen zur Erstellung von Webseiten für Zahnarztpraxen zählt. Dabei wird eine Raum- und Alltagswahrnehmung thematisiert, in der sich leibliche, physische und digitale Realitäten, sowie Körper- und Onlineidentitäten untrennbar überlagern.
Auch wenn es die Pandemie war, welche das Projekt dazu gezwungen hat eine andere Form anzunehmen und online zu gehen, versteht sich die Ausstellung nicht als einfache Kompensation, als ginge es um die Online-Bebilderung von Kunst innerhalb des Netzes, wie sie außerhalb schon vorliegt. Vielmehr geht es darum, den Mundraum von der Online-Repräsentation ausgehend konzeptionell zu verstehen. Erscheint es doch auf den ersten Blick so, als habe der haptisch-taktile Raum des Mundes nichts mit einer Online-Präsentation zu tun, wo doch gerade Online-Repräsentationen in der Pandemie dazu dienen sollen, den Mundraumkontakt zu verhindern. Vielleicht war Jean Baudrillard einer der wenigen, der im Kielwasser der Situationistischen Internationale und in ihrer Radikalisierung darauf verwiesen hat, dass das Internet erst recht als taktil angesehen werden kann: Kaufen wir ein Buch bei Amazon wird ein Profil von uns abgelegt, wir werden also durch das Spiel von Anfrage und Antwort abgetastet. Das Netz ist der öffentliche Raum des kommunikativen Abtastens schlechthin. Freilich ist dies nicht haptisch real gemeint. Aber in Umkehrung zu Walter Benjamins Definition der Aura als Ferne, so nah sie auch sein mag, wäre die Öffentlichkeit im Netz eher als Nähe, so fern sie auch sein mag zu verstehen, also als direktes Spiel zwischen Frage und Antwort jenseits des geographischen Abstandes. Eben dies macht das Netz zum Medium einer Aufhebung der Ferne, mit der es sich einem Sinn des real Taktilen nähert, wodurch sich unser Begriff vom Abtasten rechtfertigt. Es gibt also einen imaginären Berührungspunkt der realen und der symbolischen Taktilität. Daher wird hier in dem künstlerischen Projekt gerade die Vermischung und Hybridisierung von Scheinkommunikation und Kommunikation, Fakes und Ernst, Bild und seiner Aufhebung, Wissenschaft und Magie aufgegriffen. Mit der Oberfläche der klassischen Repräsentation einer Zahnarztpraxis wird der Mundraum als Vermittlung von Frage und Antwort, von Innen und Außen, thematisiert, welche den konzeptionellen Berührungspunkt von realem und symbolischem Abtastens erfahrbar macht.
Das Projekt wurde in der Auseinandersetzung mit der anstehenden Ausstellung In aller Munde. Von Pieter Bruegel bis Cindy Sherman im Kunstmuseum Wolfsburg realisiert, über die die Kuratorin Dr. Uta Ruhkamp und die Teilnehmenden in Austausch getreten sind. Inspiriert von Recherchen über die kulturgeschichtliche, kosmetische, magische, symbolische, medizinische oder psychologische Bedeutung des Oralen, das zuletzt als Ort akuter virologischer Bedrohung an Aufmerksamkeit gewonnen hat, setzt sich die Gruppenausstellung aus Videoarbeiten, Texten, GIFs, Online-Shop-Angeboten, Soundarbeiten, 3-D-Walking-Tours oder auch Heilungsschwüren von 19 Studierenden zusammen.
Die Seminarreihe Künstler_innen in der Stadt ist eine Kooperation zwischen der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und Kunstverein Braunschweig. Nach den Vorgängerversionen SPIN JOHN (2018) in einem Kiosk und stillgelegten Toiletten am John-F.-Kennedy-Platz, Braunschweig oder SWIM JOHN im Freibad Bürgerpark, Braunschweig (2019) geht die Auseinandersetzung in Form des aktuellen, digitalen Projekts SPIT JOHN (2020) in eine dritte Auflage, wobei orts- durch kontextspezifische Ansätze abgelöst und anstelle eines lokalen Umfelds Corporate Designs international zirkulierender Templates als Sinnbild einer neuen Hyperrealität untersucht wurden.
Text: Thomas Becker, Nele Kaczmarek
Ohne Titel, 2020
86 x 39 x 41 cm
Spit John → Loading Animation
Für Marie-Sofie Braune spielt der Herstellungsprozess ihrer Werke eine signifikante Rolle. Zu sehen ist ein Sperrmüllstuhl, welcher mit dem Inhalt von 35 Tuben Zahnpasta ummantelt wurde. Dabei wurde die Zahnpasta zuerst direkt aus der Tube heraus aufgetragen, bevor die Künstlerin schließlich zum Aufspachteln mit bloßen Händen überging. Die Gerüche, die von der Zahnpasta ausgingen, waren während des sechsstündigen Arbeitsprozesses so intensiv und künstlich, dass sie sich der Künstlerin regelrecht aufzwangen. Sie führten zu Schwindel und Aggressionen, die Braune kanalisierte und zum Bestandteil des Schaffensprozess erhob.
Die Arbeit ruft Erinnerung an Empfindungen von Zahnarztbesuchen wach: Das Gefühl, die Kontrolle abzugeben und zu warten. So, wie sich die Künstlerin ihrem eigenen Werk ausgesetzt fühlte, empfindet sie auch die Situation während Zahnarztbesuchen. Künstlerische Arbeit wie Zahnarztbesuch eint die Erfahrung des Kontrollverlusts. Dabei spielt auch die digitale Darstellung des Stuhls als Ladesymbol eine wichtige Rolle: So, wie man auch ab und an in Wartezimmern ausharren muss, dient das Ladesymbol als „Wartezimmer“ der Webseite.
Weiterhin spielt das Werk Braunes auf den Prozess des Ausbesserns innerhalb des Mundraumes an. Ähnlich wie Löcher, und Krankheiten im Mundraum, die behoben werden, wurden auch in der künstlerischen Arbeit Ausbesserungen durchgeführt, da das Material sich verfärbte und zu bröckeln begann. Der Versuch, die Unberechenbarkeit des Materials auszugleichen, ist am Ende ein vergeblicher. Die ausgebesserten Stellen erinnern somit an alte Füllungen und Kronen, die sich vom eigentlichen Zahn abheben. Auch die Verfärbung des Materials von Weiß zu Gelb kann mit dem Alterungsprozess eines Zahns verglichen werden.
Text: Tabea Keymling
Spit John → Click the logo chair → Alternative Main Page
White Tongue, 2020
Wachsmalstift, Graphit, Harz auf Holz
Spit John → About → Oral Health Consultation
Text: Marina Antonova
Instant Healing Box 1 — dental demon exorcism, 2020
Instant Healing Box 2 — gum fire exorcism, 2020
Instant Healing Box 3 — tooth worm exorcism, 2020
Animationen (Mixed Media) mit Sound
Spit John → Services → Instant Healing Box 1–3
Wie in der Alchemie, geht es auch in der Kunst um eine Verwandlung, eine Transformation. Dies geschieht oft auf materieller, wie auch auf spiritueller Ebene. Im Mittelalter wurde die Alchemie auch als ars magna, die große Kunst, bezeichnet. Die Künstlerin Nicola Feuerhahn setzt sich in dieser Arbeit mit der Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft auseinander und geht auf spielerische und spontane „Forschungsreisen“. Sie experimentiert häufig mit Materialien wie Ton, Bronze, Gips, Plastilin und Kunststoff. In dieser künstlerischen Arbeit durchlaufen ihre Objekte eine Transformation – vom Analogen ins Digitale –, denn die Grundlagen der Animationen reichen von Artefakten existierender künstlerischer Arbeiten bis hin zu den eigenen Weisheitszähnen, die sie im Nachhinein digitalisierte. So entsteht eine Dekontextualisierung, die einzelnen Objekte sind aus ihrem Ursprungskontext herausgelöst. Die Sinnlichkeit der Objekte, ihre griffige Haptik, kann nur noch aus der Erinnerung nachvollzogen werden. So zeigt das Werk auch eine Spannung zwischen Materialität und Immaterialisierung. Dabei werden einzelne Objekte, extrahiert, analysiert und neu kombiniert, um – geschickt verpackt in einer Box – eine direkte Heilung zu erwirken.
Heilung durch Kunst? Zumindest verzaubert sie die Betrachtenden. Wie bei Goethes Zauberlehrling entwickeln die Dinge eine eigene Dynamik – die Zahnwürmer, so scheint es, tanzen wie von Zauberhand. Überlagert von den selbst geschriebenen Zaubersprüchen auf der Audiospur, wird das Werk zu einer hypnotisierenden interaktiven Collage, die den Betrachtenden in eine zeitgenössische Welt des Okkultismus entführt. Wie beim Zahnarzt: immer etwas unheimlich, aber am Ende gibt es auch ein befreiendes Gefühl.
Du bist auch befallen von lästigen Dämonen? Repeat after me!
Text: Helena Eckart
improbable reality, 2020
digitales Readymade, geteilte Facebook-Posts
Spit John → Blog
Boris von Hopffgarten integriert in den Blog von Spit John Facebook-Posts einer Zahnarztpraxis in Hannover. Darin werden mit Fotos immer der selben Frau banale Wünsche wie "Schönes Wochenende" oder "Einen guten Start in die Woche" illustriert.Das Besondere an diesen Fotos ist das extreme, unnatürliche Lächeln und die ebenso unnatürlich weißen Zähne.
Wegen dieser geballten Unnatürlichkeit drängt sich die Frage auf, wer wohl solche Fotos als Werbung für seine Zahnarztpraxis auswählen würde, auf denen eine Frau so krampfhaft und angestrengt grinst. Eigentlich müsste die Antwort "wahrscheinlich niemand" lauten. Die Posts sind als digitale Readymades aber tatsächlich die unverändert übernommene Wirklichkeit.
So entsteht eine Spannung zwischen Unwahrscheinlichkeit und Wirklichkeit, die gepaart mit der Erwartungshaltung im Kunstkontext eine gedankliche Spielwiese eröffnet: Was ist echt? Was ist Fake? Worin besteht der künstlerische Eingriff? Was wurde hier manipuliert? Das echte, falsche Lächeln in den echten Posts einer realen Praxis im Blog einer erfundenen Praxis lässt die verschiedenen Ebenen der Realitäten und der Fakes verschwimmen.
Me, myself and I, 2020
Maße variabel
Spit John → About → Who we are → Dr. Spit John
Mit der Arbeit Me, myself and I wird der Webseite von Miran Özpapazyan ein Gesicht verliehen, mit dem Spit John identifiziert werden kann. Den Fokus legte Özpapazyan auf die Frage, wie sich Ärzte online inszenieren. Ein kompetentes, seriöses aber auch freundliches Erscheinungsbild ist insbesondere im Gesundheitswesen fundamental. Der Vergleich von zahlreichen Porträtfotos macht dies deutlich: Die Anforderungen eines biometrischen Passfotos vermitteln einen authentischen und seriösen Eindruck. Die Repräsentation kann ferner mit einem digitalen Arztausweis verglichen werden.
Dieser Eindruck wird dabei nicht selten durch vorurteilsbehaftetes Denken und Klischees geprägt. Mit wenig Bildinformationen wird automatisch das Ideal eines Arztes geschaffen, ohne die abgebildete Person in der Realität zu kennen. Allein mit der richtigen Inszenierung können somit die Betrachtenden in dem Glauben gelassen werden, dass es sich bei der künstlich geschaffenen Person um eine_n qualifizierte_n Mediziner_in handelt. Für den Kontext der Webseite wurde die fiktive Persönlichkeit mittels einer digitalen Verwandlung des Künstlers im Hinblick auf Kleidung, Körperhaltung, Mimik und den generellen Kriterien von Fotos für Pässe und Identitätskarten erzeugt.
Text: Kimberley Rataj
All The Things You've Done To Me, 2020
Mürbeteig, Eiweißglasur, Lebensmittelfarbe
jeweils circa 14 x 6 cm
Spit John → Products
Lucila Pacheco Dehne beschäftigt sich in ihren Arbeiten oft mit Materialien, die ihr im Alltag begegnen. So sind unter anderem Erbsen, Kartoffelchips oder auch Kaugummi Protagonisten ihrer Arbeit, sogenannte „nicht-arrogante“ Materialien, wie sie diese auch bezeichnet.
All The Things You‘ve Done To Me erzählt die wechselseitige Beziehung zwischen Subjekt und Objekt –
zwischen Mensch und Zahn. Was man also den Zähnen alles antut, durch das konsumieren, knirschen, zermahlen, zerbeißen. Und was im Umkehrschluss, die Zähne einem antun wie Schmerz und Leid, durch vielzählige Krankheiten wie Karies oder Parodontose. Eine fragile Liebesbeziehung, die auch in die Brüche gehen kann, wenn man sie nicht behutsam und nachhaltig pflegt.
Diese Visualisierung von Zahnkrankheiten und die Überführung in ein materialisiertes essbares Kunstwerk, lässt einen an die von Daniel Spoerri in den 1960er Jahren geprägte Bezeichnung der Eat Art denken – eine Form der Objektkunst, die sich mit Essen beschäftigt und der Frage nach der Bedeutung von Nahrung für die menschliche Existenz nachgeht. So wird auch in der Arbeit von Lucila Pacheco Dehne aus dem Alltäglichen etwas Besonderes, dem eine gesellschaftliche Bedeutung zukommt; denn sie wirft auch Fragen zum Thema Konsum in der globalisierten Welt, zu Vergänglichkeit, aber auch zur Versuchung auf. Der Mürbeteig wird zur Leinwand und das Royal Icing zur Krönung der Back-Kunst. Dabei fungiert der Mundraum als Konsumtempel. Aber der falsche und übermäßige Konsum kann bestraft werden. Die Gaumenfreude kann zur Identitätsfindung, aber auch zur Katastrophe führen.
Wie in der Kulinarik gilt auch in der Kunst: mal leichter Genuss, mal schwere Kost. So werden in diesem Werk auch unweigerlich Themen wie Kunstmarktmechanismen und -konventionen angesprochen und die Frage nach dem Wert von Kunst. Soll sich Kunst wirklich jeder leisten können? Für 10 € zzgl. Versand?
Eine Investition, die Sie sich nicht entgehen lassen sollten! Greifen Sie jetzt zu! Das Angebot ist limitiert! Zu teuer für einen Keks, aber zu günstig für Kunst! Das ist ein unschlagbares Angebot!
Am Ende ist der Keks es selbst, woran er schuld ist. Du wirst was du isst.
Text: Helena Eckart
Request a Fly, 2020
"Proforma Invoice/Packing List", Fliegen
Spit John → Front Page Form
Request a fly.
Open your window.
Receive, irgendwann.
Let go, irgendwann.
Der Mund ist ein Übergangsort.
Er nimmt auf und setzt frei:
Nahrung, Sprache, Atem, Welt.
Das Außen wird verinnerlicht,
das Innere wird geäußert.
Veräußert vielleicht.
Kontakt passiert, Austausch,
Verwebung.
Jiun Roh untersucht in seiner für
SPIT JOHN entstandenen Arbeit
Request A Fly diese Phänomene,
verbunden mit der Frage nach
Verlangen, Erwartung und Erhalt.
Request a fly. Wait what happens.
Alles ist flüchtig.
Text: Nicola Feuerhahn
Hundenagelrunde (Hommage an die Kleinteiligkeit des Körpers), 2020
digitale interaktive Soundinstallation aus einem Hundenagel, Weisheitszähnen, Kaugeräuschen und Gedichten
Spit John → all pages
Seine Zähne zermalmen die knusprigen Cornflakes seines Frühstücks. Löffel für Löffel. Ich sitze zwischen den hinteren Backenzähnen, in einer dunklen Höhle, umspült von zuckriger, weißer Milch. Das Kauen kommt mir bekannt vor. Voll Nervosität knabberte er zuvor an seinen Fingern. Nagel auf Zahn. Zahn auf Nagel. Dreckige Nägel habe ich geschmeckt. Ungewaschen. Unter ihnen die Erlebnisse der letzten Tage und die Hautschuppen seiner trockenen, von der Sonne verbrannten Haut. Ich werde vom Speichel hin und her gespült, verschlucke mich an ihm und an den zerkauten und mit Milch durchtränkten Cornflakes. Immer und immer wieder.
Die Kleinteiligkeit des Körpers wird von uns nicht immer bewusst wahrgenommen, ebenso wenig deren Verbindungen. Wenn vom Körper die Rede ist, rücken Zähne, Hautschuppen, Nägel, Poren und Haare oftmals in den Hintergrund. Mit der Arbeit Hundenagelrunde (Hommage an die Kleinteiligkeit des Körpers) macht die Künstlerin Kira Wieckenberg die Verbindungen der kleinsten Körperteile sichtbar. Das Ergebnis einer dieser Verbindungen ist eine eigene Zeitmessung: die Hundenagelrunde. Es wird gemessen, wie lange es dauert, bis der Nagel des Hundes sich umrundet.
Per Zufallsprinzip und auf unerwartete und mysteriöse Weise tauchen der Hundenagel, sowie kauenden Weisheitszähne auf der Webseite auf. So unkontrollierbar wie Gefühle. Gefühle und persönliche Erinnerungen, die ein wichtiger Bestandteil der Arbeit sind, helfen der Künstlerin dabei Fäden zwischen verschiedenen Gedanken zu spinnen und ihnen neue Bedeutungen zuzuschreiben. Die neugeschaffenen Verbindungen zwischen den Kleinteilen des Körpers werden mit kurzen, vertonten Geschichten erzählt, welche von nervösen Kreisläufen, zwischenmenschlichen Beziehungen und Hundenagelrunden handeln. Ausgehend von Zähnen, Schuppen, Nägeln und Haaren, mit dem Ziel etwas sichtbar zu machen, das vorher unsichtbar war.
Text: Monja Remmers
Rachenräumung, 2020
Text Audio
Spit John → Services → General Dentistry → Emergency Care
Die Geschichte vom Bruderkuss, 2020
Text, Audio
Spit John → Services → General Dentistry → Emergency Care
Hey John, 2020
Spit John → Services
Ohne Titel, 2020
Spit John → Address bar → Call us today
Schon früh begann Hans Witzkewitz mit der Beschäftigung des Mund- und Rachenraumes, sodass bereits in den 1980er Jahren – genauer gesagt 1984 – erste Gedichte auf Grundlage dieses Themas entstanden sind. Dabei behandelt er den Bereich der Zunge oder des Kehlkopfes.
Die vorgestellten Werke entwickelte Witzkewitz in Eigenregie, auch die Weiterverarbeitung der Gedichte in Audio-Aufnahmen führte er selbst durch. Diese Umwandlung, vom Gedicht in abspielbare Audio-Dateien, nimmt in Witzkewitz Arbeit eine bedeutende Rolle ein, da die entwickelten Zusammenhänge der Worte erst durch die gesprochene Sprache ihre volle Tragweite entfalten. Die Gedichte prägt ihre Leichtigkeit, gepaart mit einer drastischen Ehrlichkeit. So beschreibt Witzkewitz seine Gedichte wie folgt: „Möglicherweise sind meine Gedichte auf eine komische Art ernst. Vielleicht sind sie aber auch ernsthaft komisch.“
Die Worte werden in Witzkewitz Arbeiten verkehrt und verfremdet; es wird mit ihnen und ihren zugeschriebenen Bedeutungen gespielt, um neue Sichtweisen erhalten zu können.
Witzkewitz Auffassung nach sollten vorhandene Pointen nicht nur einen Abschluss verdeutlichen, sondern zugleich auch einen Anfang markieren. Die Kommunikation zwischen Anfang und Ende sei hier ausschlaggebend.
Abschließend lässt sich sagen, dass Witzkewitz untersucht, wie sich Worte im Mund verhalten und was sie dort anrichten können, um diese Überlegungen anschließend durch ausgefeilten Wortwitz in gesprochener und aufgenommener Sprache aufgreifen zu können.
Für folgende Arbeiten wurde somit nur ein Aufnahmegerät benötigt und – natürlich – die Stimme.
Rachenräumung
Bei der Rachenräumung handelt es sich um eine 57 Sekunden lange Audio-Aufnahme. Das lyrische Ich scheint gereizt und beschreibt dabei anschaulich den Prozess des Loswerdens von Lauten und Worten. Doch hören Sie selbst!
Die Geschichte vom Bruderkuss
Wie der Name schon verdeutlicht, haben wir es hier mit einer Geschichte, ja eher einer Kurzgeschichte zu tun. 46 Sekunden lang führt diese Arbeit den Zuhörer durch ausgeschmückte geschichtliche Begebenheiten, im Mittelpunkt hierbei: der Kuss.
Hey John!
Ein 45 Sekunden anhaltender Monolog durch die Fernsprechanlage an der Wohnung von John, geführt von Hans. Thematisch angelehnt an die aktuellen Umstände, mit welchen wohl jede_r in den vergangenen Wochen in Berührung gekommen ist...
Text: Irene Rustenbeck
Under the Sweet Skin, 2020
Spit John → Address bar→ Talking Time
Text: Michelle Paulus Rodriguez, Heeae Yang
Project Froben11, 2020
360° Virtuelle Tour
Maße variabel
Spit John → About → Practice Overview
Mit 54 Fotografien einer 360-Grad-Kamera erlaubt Hye Yun einen virtuellen Rundgang durch die Praxis Froben11. Gezeigt wird dabei alles, was ein Patient vor Ort sehen kann. Mit einem neutralen Blick kann der Patient alleine das Wartezimmer, die Behandlungsräume oder auch die Toilette aufsuchen. Ein voyeuristisches Gefühl kann dabei beim Blick in die Teeküche vermittelt werden – dennoch bleiben private Räume geschlossen, auch wenn Mitarbeiter_innen nicht anwesend sind.
360-Grad-Fotografien und Touren sind eine besondere Form des Online-Marketings, um einen breiten Einblick in Räume zu geben. Überwiegend von Kultur- und Eventstätten verwendet, heben sie sich durch ihre Modernität und Interaktivität vom Wettbewerb ab. Die Besucher_innen sind virtuell vor Ort und können sich einen Eindruck der Räumlichkeiten verschaffen. Fühle ich mich hier wohl? Gefällt mir der Ausblick genug, um ihn in der Realität erleben zu wollen? Das sind Fragen, die man sich nicht nur bei Hotelzimmern, Veranstaltungsräumen oder Stadtplätzen stellen muss. Besonders im gesundheitlich Rahmen ist Atmosphäre ein wichtiger Aspekt. Das richtige Umfeld kann die Angst vor gesundheitlichen Komplikationen verringern – was auch ein Auswahlkriterium von Hye Yun war, als sie sich für die Zahnarztpraxis Froben11 in Berlin entschieden hat. Die Praxis ist deutsch-koreanisch, wodurch mögliche Komplikationen aufgrund einer Sprachbarriere aufgehoben werden.
Text: Kimberley Rataj